Kühles Derby

Bis zu diesem Tag hatten sie es geschafft, sich im Liga-Alltag aus dem Weg zu gehen: Die 1. Frauen des FC St. Pauli und des HSV. Im Pokal hatte es schon Begegnungen gegeben, die erste im Jahr 1999, als sich die Regionalligamannschaft des HSV an der Feldstraße mit 25:0 durchsetzte. Zuletzt hatte Pauli 2016 die Oberhand behalten. Nun war es aber soweit, und 500 Zuschauer*innen wollten dem Spiel beiwohnen. Dritter gegen Vierter, das versprach viel. Die Form jedoch sagte etwas anderes, denn aus den jeweils letzten vier Partien holte der HSV nur vier Punkte, St. Pauli sogar noch einen weniger. Die Rothosen mussten zudem mit dem Handicap klarkommen, am Donnerstag in Kiel eine aufgrund der wohl schlechtesten Halbzeit der Saison eine stimmungsmordende Niederlage erfahren zu haben. Es würde wahrscheinlich eine enge Kiste werden, und die Frage des Spiels lautete: Wer wird der Derbystar?

Wer wird der Derbystar?

Von Beginn an schickte sich zunächst der Gastgeber an, diese Frage zu beantworten: Nach acht Sekunden bereits setzte Ann-Sophie Greifenberg den Ball links am HSV-Kasten vorbei. Eine Flanke von Annie Kingman konnte Neele Albrecht nicht weit genug aus der Gefahrenzone köpfen, aber nach Zuspiel von Nina Philipp brachte Greifenberg in der 6. Minute nur einen schwachen Abschluss zustande. Auch Carlotta Kuhnert machte es mit einem Flachschuss aus der Distanz nicht gefährlicher für Lela Naward im Tor (11.). Immerhin waren die Braun-Weißen konsequenter und suchten direkter den Abschluss, wenngleich dem HSV nicht nachzusagen war, er wäre nicht engagiert bei der Sache gewesen. Und so langsam öffnete sich das Geschehen dann auch. Emma Burdorf-Sick gab den ersten Schuss der Rautenkickerinnen ab und setzte ihn aus der Drehung links vorbei. Auf der Gegenseite versuchte es erneut Kuhnert aus der Distanz und verzog (19.).

Lea Lübke hält Victoria Schulz auf Distanz und passt quer…
… Carlotta Kuhnert hält drauf…
… aber für Lela Naward ist das keine echte Prüfung

So richtig Feuer hatte dieses Derby nicht. Es war überhaupt kein Vergleich zu den Männern, weder auf dem Platz noch daneben. Das zeigte sich vor allem, als Victoria Schulz nach einem Foul in der HSV-Hälfte liegen blieb und zwei Minuten lang behandelt werden musste: Als sie wieder aufstand, bekam sie aufmunternden Applaus vom daneben stehenden Pauli-Anhang. Klar, Frauenfußball ist anders. Aber das war dennoch bemerkenswert. Auch insgesamt kam die einzige Schärfe zwischen beiden Teams ausschließlich aus der sportlichen Situation und dem Willen zu gewinnen. Dass es die Frauen-Version des Stadtderbys schlechthin war, schien überhaupt keine Rolle zu spielen, anders als etwa noch 2016 im Pokal. Dementsprechend wurde das Geschehen auf dem Platz ausgeglichener. Beide Teams hatten sich Mitte der ersten Hälfte sortiert, standen defensiv recht sicher und versuchten eine Lücke beim Gegner zu entdecken. Das gelang dem HSV in der 25. Minute besser: Ein Zuspiel der herausgerückten Lukne Gräßler nahm Carla Morich vor dem Strafraum an und zog dann aus der Distanz ab. Tara Zimmermann im Pauli-Kasten ging auf Nummer Sicher, war mit den Händen noch am Ball und lenkte zur Ecke. Diese brachte Schulz von rechts herein. Zunächst bekam Kuhnert die Situation nicht bereinigt. Morichs Hereingabe aus dem Halbfeld ging an Joana Beckers vorbei, und dann war plötzlich Schulz dahinter frei – und knallte die Kugel an den Pfosten.

Erster Torschuss des HSV durch Emma Burdorf-Sick…
… aber der geht doch klar vorbei

Die Gäste versuchten nachzulegen. Zwei Minuten später gewann Burdorf-Sick einen Zweikampf gegen Kuhnert und passte in die Tiefe. Wieder war Schulz im Rücken der Abwehr blank, zögerte aber etwas zu lang, Zimmermann konnte den Winkel entscheidend verkürzen und den Schuss abblocken (27.). Doch so nah der HSV hier der Führung gekommen war, so schnell glich sich das Geschehen wieder aus. Es folgte eine längere Phase, in dem sich alles zwischen den Strafräumen abspielte, aber nichts erwähnenswert nach einer Tormöglichkeit aussah. Kurz vor der Pause tat sich in Tornähe wieder mehr. Der HSV kam über die rechte Seite, Burdorf-Sick bekam die Flanke von Morich nicht unter Kontrolle, aber Schulz holte sich die Kugel. Sie zog nach innen und schoss, Francis Wernecke blockte ab, und den Nachschuss setzte Morich aus dem Rückraum drüber (41.).

Victoria Schulz zieht nach innen an Vivian Kellner vorbei…
… und drückt im Fallen ab…
… Francis Wernecke blockt den Schuss weg

Die Gäste wollten mit einer Führung in die Pause gehen. Selina Lenhard setzte rechts Morich ein, die passte von der Grundlinie zurück, aber Beckers zielte aus 14 Metern rechts vorbei. Und noch eine Chance ergab sich für die Rothosen. Lenhard gab von rechts in eine fast identische Strafraumposition zurück, wieder auf Beckers. Zimmermann parierte den Schuss, ließ ihn jedoch nach vorn abprallen, und Vivian Kellner musste zur Ecke klären. Die brachte Schulz auf den Kopf von Gräßler, die aber am Kasten vorbei schädelte (45.). Es blieb beim 0:0 in einem gutklassigen Derby, das allerdings angenehmerweise ohne die bei den Herren typische, vergiftete Atmosphäre auskam. Pauli hatte den besseren Start gehabt. Die Gäste sortierten sich und fanden nach etwa zwanzig Minuten besser in die Partie und erarbeiteten sich, trotz ausgeglichener Spielanteile, ein Übergewicht an gefährlichen Torgelegenheiten.

Selina Lenhard flankt von rechts zurück…
… Joana Beckers versucht es direkt…
… findet jedoch ihre Meisterin in Tara Zimmermann

In Durchgang zwei wiederholte sich beinahe das Geschehen des ersten: Während der HSV Schwierigkeiten hatte, ins Spiel zu finden, begann der FC St. Pauli besser. Nach Querpass von Sellami zielte Greifenberg von der Strafraumgrenze volley auf den Kasten, der Versuch war kein Problem für Naward (46.). Zehn Minuten vergingen, und die Rautenkickerinnen wendeten die Kräfteverhältnisse wieder zu ihren Gunsten. Burdorf-Sick zielte in Minute 55 aus 19 Metern deutlich über den Kasten. Dann bekamen die Braun-Weißen einen Schulz-Freistoß nicht aus der Gefahrenzone, und nach Beckers‘ Ablage wurde der Schuss von angeschlagen ins Spiel gegangenen Maie Stein von einem Defensivbein abgewehrt. Es war nicht so, dass St. Pauli es nicht versuchte. Vor allem die langen Diagonalbälle hinter die aufgerückte Gästeabwehr sorgten für Gefahr, aber es reichte nicht zu Abschlüssen. Bereits in der 70. Minute fing Naward einen langen Ball von Wernecke auf Philipp ab. Bei Paulis Kapitänin lief an diesem Tag gar nichts zusammen, sie blieb fast komplett ohne Bindung zum Spiel. Der HSV war allerdings auch zweikampfstärker, bissiger und agierte mehr, während Pauli lauerte.

Joana Beckers spielt an den Strafraum…
… Emma Burdorf-Sick zieht einfach mal ab…
… aber Tara Zimmermann muss nicht eingreifen

Und dann hätte es doch fast gekracht, als Kellner das Leder von rechts Richtung Tor drosch und den Pfosten traf. Ob das eine verunglückte Flanke oder gar Absicht war, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Dem HSV fehlten in dieser Phase Impulse, also setzten Manuel Alpers und Christian Kroll einen und brachten hinten rechts Franka Dreyer für Lenhard. Nicht exakt ein Offensivwechsel, aber eine Reaktion auf den Wechsel Paulis in der 71. Minute, als Kingman für die ausgewechselte Kuhnert ins zentrale defensive Mittelfeld wechselte und die eingewechselte Leeloo Mucha den freigewordenen linken Flügel beackern sollte. Nach vorn tat der HSV allerdings auch etwas und brachte im Mittelfeld Justine Siever für Beckers. Pauli reagierte mit Vanessa Zawada für die erlöste Philipp, die kurz zuvor einen langen Ball hinter die HSV-Abwehr nicht vor Lela Naward hatte erreichen können.

Nina Philipp kommt beim langen Ball etwas zu spät und springt fair vorbei…
… während Naward sich mit etwas Glück das Leder sichert

Doch plötzlich lag die Siegchance für den HSV auf dem Silbertablett. Neele Albrecht flankte auf Verdacht von links. Lea Lübke hatte den Ball eigentlich sicher und vertändelte ihn doch, direkt vor dem Tor und genau in den Fuß von Siever. Die hätte in dieser Situation zum Derbystar des HSV werden können, legte sich die Kugel jedoch noch einmal zurecht und gab Zimmermann so genug Zeit, um den Abschluss letztlich abwehren zu können (84.). Als Hepfer etwas später einen Schulz-Freistoß – Lübke hatte zuvor für ein Foul an Fischer die einzige Gelbe Karte des Spiels gezeigt bekommen – neben den Pfosten köpfte, hatte das 0:0 endgültig Bestand.

Nach dem Bock von Lea Lübke ist Justine Siever völlig blank…
… hat nur noch Tara Zimmermann vor sich…
… und vergibt den Sieg

Die zweite Halbzeit war insgesamt schwächer geblieben als die erste. Vor allem St. Pauli gelang nach vorn entschieden zu wenig. Daher konnten die Braun-Weißen mit dem Zähler zufrieden sein. Für den HSV dagegen war ein Punkt nach der Vielzahl ausgelassener Chancen zu wenig. Nach Spielanteilen zweier Teams, die in der Summe während der zweiten 45 Minuten nicht allzu großes Risiko eingingen, war das torlose Remis am Ende doch irgendwo leistungsgerecht.


Spieldaten:

FC St. Pauli: Tara Zimmermann – Lea Lübke, Nikola Ebrecht, Francis Wernecke, Vivian Kellner – Carlotta Kuhnert (71. Leeloo Mucha), Kathrin Miotke – Annie Kingman, Nina Philipp (83. Vanessa Zawada), Ann-Sophie Greifenberg – Linda Sellami

Hamburger SV: Lela Naward – Neele Albrecht, Lukne Gräßler, Anna Hepfer, Selina Lenhard (78. Franka Dreyer) – Maie Stein – Carla Morich, Joana Beckers (81. Justine Siever), Antonia Fischer, Victoria Schulz – Emma Burdorf-Sick

Schiedsrichterin: Franziska Wildfeuer (VfB Lübeck) mit Ann-Kristin Wildfang (TSV Gremersdorf) und Nicole Hartmaring-Jaacks (Bramstedter TS)

Zuschauende: 500

Tore: keine

Gelbe Karten: Lübke (86.) / –

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