Vor zwei Wochen war das Auswärtsspiel des HSV bei Holstein Kiel abgesagt worden, weil die Waldwiese mal wieder zum Sumpf geworden war. Am Donnerstag gab es die Neuauflage bei immerhin sonnigen 5 Grad. Warum die erste Halbzeit so verlief, wie sie verlief, ist kaum zu erklären. Vielleicht waren die Rothosen in Gedanken schon beim großen Derby am Sonntag an der Feldstraße? Die drittbeste Defensive der Liga lieferte jedenfalls in den ersten 45 Minuten kein Anzeichen für eine alternative Erklärung. Die drittschwächste Offensive dagegen demonstrierte Anzeichen, warum sie fünf Tore weniger erzielt hat als der Durchschnitt des breiten Liga-Mittelfelds. Und das gegen die zweitschwächste Defensive der Liga, der sie es in den ersten 45 Minuten denkbar einfach machte. Vielleicht brachten sie aber auch nur die neuen Auswärtstrikots in blau gesprenkeltem Schweinchenrosa, die auch von den Profis aufgetragen werden, aus dem Konzept?
Dass sein Team jedenfalls „ganz woanders“ war, wie Trainer Manuel Alpers nach dem Spiel konstatierte, konnten die etwa 150 Zuschauer im Stadion früh erkennen. Schon in der 6. Minute begünstigte zu zaghaftes Zweikampfverhalten im Zentrum eine Kopfballvorlage von Madita Thien in den Lauf von Lina Staben, und es war pures Glück, dass die frei auf Lela Naward zulaufend am Tor vorbei schob.
Dann kamen auch noch schlechte Nachrichten hinzu: Maie Stein verletzte sich nach elf Minuten im Kampf um den Ball heftiger am Knöchel und musste draußen lange behandelt werden. Vier Minuten später kam dann vom Betreuer das Signal, dass sie ausgewechselt werden musste. Als Joana Beckers schon als Ersatz bereit stand, leistete sich Neele Albrecht einen Fehlpass im Spielaufbau, genau dorthin, wo Stein zu diesem Zeitpunkt fehlte. Ihr Querpass kam am Mittelkreis zu Luiza Zimmermann, die dann Lisann Evert steil einsetzte. Die Stürmerin lief Lukne Gräßler davon und schob problemlos zum 1:0 ins kurze Eck (17.). Erst jetzt konnte der HSV wieder auffüllen. Und geriet gleich wieder in große Nöte, denn Gräßler kam an der Mittellinie übermotiviert zu spät gegen Thien, die dadurch rechts auf Staben durchstecken konnte. Die marschierte halbrechts in den Strafraum, passte quer an Naward vorbei, und nur weil Evert am Fünfer freistehend am Ball vorbei trat, stand es jetzt nicht 2:0 für Kiel.
Dabei wäre eine Zwei-Tore-Führung zu diesem Zeitpunkt für die Gastgeberinnen durchaus verdient gewesen. Von Beginn an attackierten sie früh, ließen keinen geordneten Aufbau zu, wirkten energischer und zeigten, dass sie die drei Punkte mehr wollten als der HSV, der unkonzentriert auftrat, viele Fehler machte und zu viele Risiken einging, so wie etwa die Innenverteidigerinnen immer wieder ins Dribbling gegen störende Offensivkräfte gingen. Einen der Fehler machte auch Lela Naward. Samanta Carone lufte das Leder am Strafraum über Victoria Schulz und schloss aus der Drehung volley ab. Der Ball war harmlos – bis Naward ihn nach vorn prallen ließ, direkt vor die Füße von Thien, die sich mit dem 2:0 bedankte (24.). Fünf Minuten später verlor Dreyer die Kugel, Carone steckte tief auf Evert, frei vor Naward der Querpass auf die nachrückende Staben – und im allerletzten Moment putzte Hepfer, Hamburgs Beste im ersten Durchgang, noch mit einer riskanten Grätsche aus.
Sie war es auch, die nach satten 33 Minuten die erste Viertelchance hatte, als sie allein über links ziehen musste, nicht richtig attackiert wurde und den Ball aus spitzem Winkel vor das Tor brachte. Aber entweder war es ein verunglückter Schuss oder ein verunglückter Querpass auf die weit entfernt stehende Emma Burdorf-Sick – näher als 2 Meter kam der Ball der Torlinie nicht. Und weil ich gnädig bin, werte ich einen harmlosen Kopfball-Aufsetzer von Burdorf-Sick nach Freistoß von Schulz als richtige Chance (35.). Wobei das schon fast eine Beleidigung für die nächste Torszene war: Langer Ball der Kielerinnen, Fischer wähnte den Ball sicher, und doch setzte Evert nach, nahm das Leder mit und schob es unter Naward hindurch ins kurze Eck – 3:0 (39.).
Dass es zur Pause nicht schon 6:0 stand, schmeichelte dem HSV. Es war ein erschreckend schwacher Auftritt, der mit Regionalliganiveau nicht das Geringste zu tun hatte. Kiel war entschlossener und klar überlegen, legte die Schwächen im Konzept des HSV mit chirurgischer Präzision offen. Die lethargisch wirkenden Gäste standen zu hoch und leisteten sich unzählige katastrophale Aussetzer. Dennoch gab es zum zweiten Durchgang keine Wechsel, und Holstein Kiel machte erstmal druckvoll weiter, allerdings ohne sich eine klare Torgelegenheit herauszuarbeiten. So langsam legte das Rautenteam dann zu und schickte sich an, auch am Spiel teilzunehmen. Nach einem Freistoß von Schulz aus dem Halbfeld setzte Carla Morich, die bis dahin viel versuchte und nichts hinbekam, einen Kullerball aus dem Gewühl neben den Pfosten (54.). Zwei Minuten später stimmte bei Burdorf-Sicks Kopfball auf eine Schulz-Ecke das Timing nicht, und sie setzte ihn klar rechts vorbei. Und dann kombinierten sie mal: Dreyer spielte kurz nach innen auf Schulz, die rechts raus auf Alina Siegel, frühe Flanke in den Strafraum auf Burdorf-Sick, die die Kugel mit dem Bauch annahm und über Victoria Bendt hinweg mittig in die Maschen setzte. Das 1:3 nach 57 Minuten.
Moralisch beflügelte es den HSV, der jetzt wesentlich energischer agierte als im ersten Durchgang und das Spiel bestimmte. Der Gastgeber kam kaum noch zu Offensivaktionen, verlegte sich allein auf das Verwalten des Vorsprungs. Dem HSV fiel es dadurch nicht leichter, klare Möglichkeiten herauszuarbeiten. So zielte Beckers nach 64 Minuten aus 18 Metern auf Bendt, und aus spitzem Winkel machte es Morich wenig später nicht besser. Auf der anderen Seite gab es plötzlich die Konterchance. Durch einen Pressschlag kam Alina-Sophie Steiner gegen Fischer durch, war frei vor Naward, schoss dann aber die bereits liegende Keeperin an, und Staben schaffte es nicht, die herunterkommende Bogenlampe per Kopf kontrolliert aufs Tor zu bringen, so dass der HSV in höchster Not klären konnte (69.).
Das war der Höhepunkt einer aus HSV-Sicht schwächeren Phase. Sie zogen eine Viertelstunde vor Schluss wieder an, aber Kiel stand ziemlich souverän hinten drin. Nur eine gute Möglichkeit ließen sie noch zu. Als Morich aus 22 Metern aufs lange Eck zielte, flog Bendt in die Ecke und verhinderte mit einer Hand das 2:3 (78.).
Der HSV hatte in den zweiten 45 Minuten gekämpft, aber mehr als das 1:3 war nicht drin, weil sie letztlich doch nicht zwingend genug waren. Holstein Kiel musste nach der für sie perfekt gelaufenen ersten Halbzeit nicht mehr viel tun und hatte insgesamt den Sieg trotz schwachem zweiten Durchgang verdient. Bei den Hamburgerinnen lag der Fokus auf der ersten Halbzeit. Wenn sie die Leistung des zweiten Spielabschnitts da schon gezeigt hätten, so Alpers nach dem Spiel, wäre ein Punkt vielleicht drin gewesen. Aber sie waren da ja noch ganz woanders…
Spieldaten:
KSV Holstein: Victoria Bendt – Johanna Labuj, Sarah Begunk, Jule Ziegler, Tabea Lycke – Luiza Zimmermann, Madita Thien – Samanta Carone, Alina-Sophie Steiner, Lina Staben (83. Sina Meyer) – Lisann Evert (88. Lis Pirotton)
Hamburger SV: Lela Naward – Neele Albrecht, Lukne Gräßler (84. Manja Rickert), Antonia Fischer, Franka Dreyer – Maie Stein (17. Joana Beckers) – Carla Morich, Anna Hepfer, Alina Siegel (77. Amely Jaekel), Victoria Schulz – Emma Burdorf-Sick
Schiedsrichterin: Nicole Zabinski (SV Neuenbrook/Rethwisch) mit Anna-Sophie Lehmke (TuS Bargstedt) und Juliane Wittig (FC Kilia Kiel)
Zuschauer: ca. 150
Tore: 1:0 Evert (17.), 2:0 Thien (24.), 3:0 Evert (39.), 3:1 Burdorf-Sick (57.)
Gelbe Karten: – / –